Donnerstag, 5. Januar 2012

Naturgedanken


Schon im tiefsten Winter entwickelst du deine Kraft. Der Schnee ist dein Gefängnis, deine Mauer. Du harrst geduldig, bis er schmilzt.

Vielleicht schmilzt er wegen dir, vielleicht schmilzt er wegen dir, vielleicht zwingt ihn dein Wille, nach außen zu dringen davon. Sein Verschwinden ist dein Startschuss, seine Existenz deine Ruhe.

Wenn er weg ist, beginnt deine milliardenfache Erfolgsgeschichte von neuem: Zuerst kleine Knospen, deren Wasser, deren Lebenselexir den geschmolzenen Schnee in der Farbe des Lebens den Sommer genießen lassen.

Dann dein immer größer werdendes Werden. Schon verblüffend, dass deine schönste Phase direkt nach deinem Entstehen kommt, direkt nach dem, was dich vermutlich die meiste Kraft gekostet hat.

Die Blüten. In allen erdenklichen Farben spiegeln sie die Kraft der Sonne wieder, als wollten sie ihr Strahlen zurückgeben.

Die kleinsten Figuren der von dir abhängigen Tierwelt erlaben sich als erstes an deiner Arbeit. Zu Millionen und Abermillionen schwärmen sie aus und sammeln den Staub, den du ihnen schenkst, den Staub, der auch deine Zukunft sichert.

Das Nehmen und Geben ist auch in die so tief verankert, dass du darauf basierst.
Im Sommer ist sicher auch dir heiß, doch es wirkt wie der Gipfel des Berges, der sich dein Kreislauf nennt.

Er erstreckt sich da, im Gebirge der Gezeiten und sein Erreichen bedeutet für dich, dass sich das Reifen deiner Früchte gelohnt hat.

Ist auch für dich der Weg das Ziel?

Im Herbst erleuchten nicht nur deine Früchte unsere, vom dir gleichgültigen Wetter, getrübten Gedanken; Es sind auch die Farben, die wie Flammen von deinen Blättern ausstrahlen.

Doch jedes Feuer erlischt und vielleicht ist der wiederkehrende Schnee wie die Asche deiner Gaben.


Malte Gallée, Herbst 2010